„Die Verleugneten“ – NS-Dokumentationszentrum erinnert an vergessene Opfer des Nationalsozialismus

Dezember 10, 2025 Kunst
So empfängt die Ausstellung „Die Verleugneten“ im NS-Dok ihre Besucher. – Foto: JS

So empfängt die Ausstellung „Die Verleugneten“ im NS-Dok ihre Besucher. – Foto: JS

Die menschenverachtende Politik der Nationalsozialisten hat Auswirkungen noch bis heute. Wer damals als „asozial“ oder „Berufsverbrecher“ verfolgt wurde, trug diesen Stempel noch nach Jahrzehnten auch in der Bundesrepublik. Erst seit etwa 2020 begann die Aufarbeitung dieser Diskriminierung. Ein Ergebnis ist die beeindruckende Wanderausstellung „Die Verleugneten“, die jetzt im Kölner NS-Dokumentationszentrum ihre 2. Station hat.

Erst am 28. Januar 2020 entschied der Deutsche Bundestag: „Niemand saß zu Recht in einem Konzentrationslager, auch die als `Asoziale´ und `Berufsverbrecher´ Verfolgten waren Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Beide Opfergruppen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der NS-Diktatur weiter stigmatisiert, beide Gruppen sollen Anerkennung erfahren und ihr Schicksal soll stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden.

Vorurteile hielten nach 1945 an

Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und die Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ erhielten den Auftrag, die Wanderausstellung zu erarbeiten. Diese stellt nun exemplarisch das Schicksal von 16 Männern und Frauen vor, die damals verfolgt wurden und verschafft ihnen so stellvertretend für alle anderen eine verspätete Gerechtigkeit. Was sie vereint ist die Tatsache, dass sie auch nach 1945 nicht von der Zivilgesellschaft aufgenommen wurden. Die NS-Stempel „asozial“ und „Berufsverbrecher“ wurden nicht hinterfragt – im Gegenteil, sie wurden bereitwillig übernommen und dienten der fortgesetzten Diskriminierung. So schafften es die Betroffenen trotz anfänglicher Versuche nicht, als politisch Verfolgte anerkannt zu werden und Entschädigungen für ihre Haftzeiten zu erlangen.

16 Mal wird ein Leben buchstäblich nachgezeichnet. Denn Alltagsfotos der Betroffenen gab es kaum noch, und Polizeifotos von damals wollte man nicht zeigen. Stattdessen setzte man auf fröhlich-bunte Zeichnungen von Nino Bulling und Jul Gordon. Dazu ein kurzer schriftlicher Abriss über die Gründe, die zur Verfolgung führten, weiter Fakten für die Zeit nach Kriegsende und an Hörstationen Interviews mit Familienangehörigen. Schließlich amtliche Dokumente, wonach etwa bei Liddy Bacroft mit einer „ärztlichen Bescheinigung“ Travestie diagnostiziert wurde. Er wird regelmäßig wegen Homosexualität und Prostitution verhaftet und stirbt 1943 im KZ-Mauthausen-Gusen.

„asozial“ und „arbeitsscheu“

Viele Gründe führten zu einer Verfolgung. Hier nur drei Beispiele. Werner Thümer war wegen „Bettelns“ vorbestraft, wurde wegen „Bummelei“ festgenommen, „erbliche Vorbelastung“ machte man für seine mangelnde Intelligenz verantwortlich – er wurde zwangssterilisiert. Ilse Heinrich wäre gerne Kinderkrankenschwester geworden, musste aber auf Bauernhöfen arbeiten. Sie hielt es nicht lange aus, erhielt den Stempel „arbeitsscheu“ und kam „asozialer“ Häftling ins Frauen-KZ Ravensbrück, wo sie den schwarzen Winkel tragen musste. Rudi Zerbst verdiente sein Geld, indem er in Leipziger Kneipen Gäste zeichnete. Dafür hatte er aber keine Erlaubnis, gleichzeitig galt er als „arbeitsscheu“. Nach lautstarken Konflikten mit Beamten wurde er ins KZ Sachsenhausen transportiert.

In fünf „Kapiteln“ wird die Geschichte der „Verleugneten“ aufbereitet. Es beginnt mit einer eher allgemeinen Beschreibung der Lebensverhältnisse, der Wohnungslosigkeit, der sozialen Not, die nicht selten zu Kriminalität führte. Deren Bearbeitung und Verurteilung durch die Staatsorgane ist das nächste Thema, dazu gehören Kriminalpolizei, Jugend-, Sozial- und Arbeitsämter. Viele Betroffene – 3. Kapitel – landeten in Arbeitslagern, in KZs (es gab auch spezielle für Jugendliche). Allein in den Konzentrationslagern waren es 80.000, so schätzen Experten. Unklar wie viele in Arbeitslagern gefoltert, zwangssterilisiert oder „Euthanasie“-Opfer wurden. Im Krieg schließlich wurden die Maßnahmen besonders gegen Frauen verschärft, ab 1939 begann der systematische Massenmord durch „Euthanasie“. Das letzte Kapitel ist schließlich den vergeblichen Nachkriegsbemühungen gewidmet, etwa durch eigene Zeitungen als Naziverfolgte anerkannt zu werden.

Viele Beispiele von der Kölner Kriminalpolizei

Bei ihren Nachforschungen konnten die Historiker vor allem auf Unterlagen der Kölner Kriminalpolizei zurückgreifen. Im Duisburger Landesarchiv fand sich auch der Fall von Gertrud Nohr. Sie lebte als Jugendliche wegen sexualisierter Gewalt in ihrer Familie in einem Erziehungsheim. Mit 22 Jahren von einem Soldaten schwanger, lebte sie nun als Alleinerziehende in der Altstadt, damals ein verrufenes Viertel. Als sie mit einer Geschlechtskrankheit auffällt, wurde sie der Prostitution verdächtigt und kam ins Frauen-KZ Ravensbrück. Ihr Fall wurde speziell der Kölner Ausstellung hinzugefügt.

Zwei damals für die Durchsetzung der NS-Politik in Köln Verantwortliche konnten nach 1945 ihre Berufslaufbahn unhinterfragt fortsetzen: Der Kölner Polizeibeamte Willy Gay arbeitete im NRW-Innenministerium, auch Martha Bauermann für Heime im Rheinland zuständig, kletterte die Beamtenleiter hoch. (JS)

„Die Verleugneten“ – 4. Januar 2026. NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln, Tel. 0221 / 221 – 243 40, www.nsdok.de. Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr, erster Donnerstag im Monat 10-22 Uhr. Eintritt: 4,50/2 Euro, am ersten Donnerstag im Monat frei. Anfahrt: KVB-Straßenbahn, Linie 3, 4, 5, 18, 16 (Appellhofplatz).